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Spielsucht, Glücksspielsucht, pathologisches Spielen
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In der Allgemeinbevölkerung und in der Fachliteratur werden verschiedene sprachliche Bezeichnungen für die problematische Form des Spielens verwendet. Nach Auffassung des Fachverbandes Glücksspielsucht ist der Begriff Glücksspielsucht am ehesten zur Erfassung der wesentlichen Merkmale dieser Erkrankung geeignet, da er die Substantive Glück, Spiel und Sucht enthält. Nach ICD 10 wird die problematische Form des Spielens als Pathologisches Spielen bezeichnet und der Kategorie „Abnorme Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle“ (F 63) zugeordnet. Darunter werden Verhaltensstörungen verstanden, die durch
- wiederholte Handlungen ohne vernünftige Motivation gekennzeichnet sind
- die nicht kontrolliert werden können und die
- meist die Interessen des Betroffenen oder anderer Menschen schädigen.
Pathologisches Spielen wird nach ICD 10 (F63.0) als Störung definiert, die durch häufiges und wiederholtes episodenhaftes Glücksspiel, das die Lebensführung des Betroffenen beherrscht und zum Verfall der sozialen, beruflichen, materiellen und familiären Werte und Verpflichtungen führt, gekennzeichnet ist. Die Begriffe Glücksspielsucht und pathologisches Spielen werden im folgenden synonym verwendet.
Nach Meyer (2003) ist im Jahre 2002 bei 1.727 Klienten die Einzeldiagnose „Pathologisches Spielen“ gestellt worden. Die Zahl behandelter Personen mit Glücksspielsucht ist damit im Vergleich zum Jahre 2000 deutlich angestiegen. Tabelle 1 gibt eine Übersicht über die Entwicklung der Anzahl der Klienten in ambulanten Beratungs- und Behandlungsstellen und die Zahl der Einzeldiagnosen „Pathologisches Spielen“.
Tabelle 1: Anzahl der Klienten in ambulanten Beratungs- und Behandlungsstellen und Einzeldiagnosen „Pathologisches Spielen“ (Meyer, 2003)
Klienten insgesamt | |||||
davon spielsüchtig in Prozent | |||||
Einzeldiagnose Path. Spielen |
Zuverlässige Angaben über die Anzahl pathologischer Spieler und Spielerinnen in Deutschland liegen nach Angaben der DHS nicht vor. Nach den aktuellen Untersuchungen und Schätzungen ist von einer Bandbreite von 100.000 bis 170.000 beratungs- und behandlungsbedürftigen Spieler/-innen anzugehen. Im Vergleich zu den angloamerikanischen Ländern, für die von einer Prävalenzrate von 1 – 3 % ausgegangen wird, handelt es sich in Deutschland als um eine wesentlich kleinere Gruppe. Symptome Nach Petry ist das Pathologische Spielen durch mindestens fünf der nachfolgend aufgeführten zehn typischen Merkmale gekennzeichnet:
- Das starke Eingenommensein vom Glücksspiel,
- Die Erhöhung der Einsätze, um die gewünschte Erregung zu erreichen,
- Mehrfach gescheiterte Versuche, das Glücksspielen einzuschränken oder aufzugeben,
- Das Auftreten von Unruhe und Gereiztheit beim Versuch, das Glücksspielen einzuschränken oder aufzugeben,
- Die Funktion des Glückspielens, Problemen oder unangenehmen Gefühlen auszuweichen,
- Der Versuch, durch wiederholtes Glücksspielen frühere Geldverluste auszugleichen,
- Lügen gegenüber sozialen Bezugspersonen, um das Glücksspielverhalten zu vertuschen,
- Kriminelle Handlungen, um das Glücksspielen zu finanzieren,
- Die Gefährdung oder der Verlust partnerschaftlicher Beziehungen oder beruflicher Perspektiven aufgrund des Glücksspielverhaltens,
- Das Verlassen auf andere Personen, um die glücksspielbedingte finanzielle Sackgasse zu überwinden.
Eine Glücksspielsucht i. S. der ICD-10 ist zeigt häufig ein schweres Krankheitsbild. Wegen der Schwere dieser Suchtform ist Glücksspielsucht eine gesundheitliche Beeinträchtigung mit Krankheitswert.
Bei einer umfangreichen Glücksspielerbefragung (Meyer zit. bei Kellermann) gaben
- 54,6 % der Spieler an, sich durch ihre Glücksspielsucht psychisch sehr stark belastet gefühlt zu haben,
- 27,5 % der Spieler an, sich stark belastet gefühlt zu haben,
- 85,1% der Spieler an, dass ihr Glücksspiel auch für ihre engsten Bezugspersonen eine ziemliche bis sehr starke Belastung bedeutet habe,
- 30,6 % der Spieler an, dass die Partnerschaft auseinandergegangen sei und
- 15,5% der Spieler an, sie hätten Spielschulden von mehr als 50.000 DM
Die Schwere dieser Suchtform und ihr Krankheitswert ist nach Kellermann vor allem durch die hohe Suizidalität der Betroffenen gekennzeichnet. In einer weiteren Glücksspielerbefragung gaben 58,3% der Glücksspieler an, wegen des Spielens Selbstmordgedanken gehabt zu haben. In einer anderen Untersuchung waren es 71,4 % der Befragten, die wegen ihres pathologischen Glücksspielens bereits Suizidversuche unternommen oder sehr konkrete Suizidgedanken und Suizidplanungen gehabt hatten. Meyer (zit. bei Kellermann) fand, dass 67,7% der Glücksspielsüchtigen Probanden Suizidgedanken hatten, 14,9 % hatten bereits einen Suizidversuch unternommen. Es ist demnach von einem hohen Anteil suizidgefährdeter pathologischer Spieler auszugehen.
Die Leidenswege pathologischer Spieler sind oft ähnlich lang wie die der Alkoholiker, der Medikamentenabhängigen oder der Abhängigen von illegalen Drogen. Im Laufe der Suchtgeschichte wird das Glücksspiel mehr und mehr zum zentralen Lebensinhalt. Familie und Beruf verlieren zunehmend an Bedeutung, und es erfolgt ein Rückzug aus dem sozialen Umfeld. Im weiteren Verlauf kommt es zu Wohnungsverlust, Arbeitsplatzverlust, Trennung vom Partner, Beschaffungskriminalität und zu der zuvor angesprochenen Selbstmordgefährdung.
Süchtiges Spielverhalten entwickelt sich vor dem Hintergrund multifaktoriellen Geschehens. Ein besonders gefährdeter Personenkreis für die Entwicklung spielsüchtigen Verhalten lässt sich daher nicht zuverlässig festlegen. Es gibt weder den typischen Spieler noch das charakteristische soziale Umfeld. Dennoch gibt es Bedingungen, die eine Entwicklung süchtigen Spielverhaltens begünstigen. Diese betreffen
- die Persönlichkeitsstruktur,
- das Geschlecht,
- Genetik und Neurobiologie,
- vorhandene Angst- und depressive Störungen und
- das soziale Umfeld.
Bei der Entstehung von Suchterkrankungen sind aus psychoanalytischer Sicht die frühen Liebesobjekte und die entsprechenden Objektbeziehungen der ersten Lebensjahre von fundamentaler Bedeutung. Minderwertigkeitsgefühle entstehen als Folge eines stark ambivalenten, mit Liebe und Hass besetzten Erlebens der frühen Liebesobjekte. Diese Ambivalenz kann sich bei einer mangelnden Versorgung und auch bei einer Überversorgung entwickeln. Die internalisierte Ambivalenz von gleichzeitig bestehenden intensiven Gefühlen von Libido und Aggression verhindert den zur inneren Reifung und zur Autonomie erforderlichen Fusionsprozess von „guten“ und „bösen“ Teilobjekten (Objektbeziehungstheorie), so dass sich eine brüchige innere Struktur der Selbst- und Objektrepräsentanzen entwickelt. Dadurch fehlt die Grundlage für die Bildung einer Selbst- und Objektkonstanz, die wiederum für die Entwicklung von Selbstwertgefühlen und die Beziehung zu anderen Objekten fundamental ist. Bei Suchtkranken (und auch bei pathologischen Spielern) fehlt demnach häufig eine gesicherte Selbstkonstanz (Selbstwertgefühl) und eine ausreichende Objektkonstanz (Umgang mit den eigenen Emotionen und Konstanz emotionaler Beziehungen). Daher werden Objektbeziehungen häufig als überfordernd erlebt. Aufgrund des fehlenden Selbstwertgefühles fühlt sich der Abhängige bis zu einem gewissen Grade hilflos ausgeliefert. Die Auseinandersetzung mit der Realität wird zunehmend schwieriger und das Suchtmittel (Spielen) gewinnt zunehmend an Bedeutung.
Glücksspielen dann zunehmend in bedrohlichen Situationen und Beziehungen eingesetzt und dient als Werkzeug, den großen Wunsch nach Stabilisierung, Regulation und Schutz zu erfüllen, mit der Möglichkeit die illusionäre Vorstellung von einem narzisstischen Zustand des Wohlbefindens „einzustellen und aufrechtzuerhalten“. Pathologisches Spielen kann daher als ein Symptom verstanden werden, das Ausdruck einer Persönlichkeitsentwicklung mit strukturellen Mängeln, Ich-Funktionsdefiziten und narzisstischer Problematik ist.
Natürlich werden die Minderwertigkeitsgefühle durch das pathologische Spielen nicht verringert oder Probleme gelöst. Ganz im Gegenteil, spätestens wenn das Spielen zentraler Lebensinhalt geworden ist, werden die bereits bestehenden Minderwertigkeitsgefühle unerträglich, bestehende Probleme verschärft und neue Probleme geschaffen. Der Betroffene wird in diesem Teufelskreis immer unfähiger seine Gefühle, Beziehungen und Probleme zu bewältigen.
Eine herausragende klinische Besonderheit bei Abhängigkeitserkrankungen ist die oben angesprochene ausgeprägte Selbstwertproblematik. Diese findet sich auch sehr häufig bei den pathologischen SpielerInnen. Das Spielen kann als ein Versuch der Kompensation dieser Selbstwertproblematik angesehen werden. Durch das Spiel als zielgerichtete Handlung, besteht in seinem motivationaler Kern (Oerter, 1993) das Erleben einer Selbstwertsteigerung durch Meisterung einer aus dem Alltagsleben abgehobenen Handlungsanforderung. Dabei können außerdem die in der realen Welt erfahrenen Frustrationen ausgeblendet werden.
Selbstwertproblematiken sind häufig das Ergebnis der zuvor angesprochene gestörten Eltern-Kind-Beziehungen. Bemerkenswert häufig blicken Spielsüchtige auf gar keine oder nur eine schwache Beziehung zum Vater zurück, d. h. der Vater stand sowohl dem Kind als auch seiner Ehefrau nur selten zur Verfügung. Als Folge wurden die Heranwachsenden in ihrer Kindheit nachhaltig überfordert. Die mehr oder weniger allein gelassenen Mutter erstickt das Kind mit Fürsorge und Liebe und erzieht es häufig zur völligen Unselbständigkeit. Minderwertigkeitsgefühle, Unsicherheit und Komplexe sind die daraus resultierenden Probleme, die sich auf Dauer nicht verdrängen lassen. Im Rausch des Spiels werden diese Probleme überdeckt und ausgeblendet. Der Spieler hat vorübergehend Ruhe. In Laufe der Zeit muss die Dosis erhöht werden. Dann werden nicht nur höhere Geldbeträge eingesetzt, sondern es werden auch mehrere Spiele gleichzeitig gespielt. Es wird immer mehr Zeit und Geld investiert und die Spielsucht entwickelt eine Eigendynamik. Immer häufiger tauchen neue, aktuelle Probleme auf, die gelöst werden müssten. Es muss immer mehr Geld beschafft werden und die Betroffenen müssen sich ständig neue Lügen für die Familie und/oder den Arbeitgeber auszudenken.