Borderline Persönlichkeitsstörung

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Borderlinestörung, Borderline Persönlichkeitsstörungen, Borderlinesyndrom 

Einführung

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Der Begriff Borderline („Grenzlinie“) wurde Ende der 30iger Jahre von dem amerikanischen Psychoanalytiker William Louis Stern eingeführt. Er charakterisierte damit psychische Beeinträchtigungen, die zwischen Neurose und Psychose schwanken. Borderlinestörung bezeichnete also ursprünglich eine bestimmte Gruppe von Störungen an der Grenzlinie (Borderline) zwischen Neurose und Psychose.

Recht bald wurde aber erkannt, dass diese Störungen in ihrer Gesamtheit als Persönlichkeitsstörung zu sehen sind. Der Begriff Borderline hat somit zwar seine inhaltliche Bedeutung verloren, wurde aber trotzdem beibehalten. Heute gelten Borderlinestörungen als eigenständiges Krankheitsbild, das unter anderem mit der Instabilität von Gefühlen und Verhalten definiert ist.

Die Borderlinestörung ist nach ICD 10 eine Unterform der sogenannten „emotional instabilen Persönlichkeitsstörungen“. Die Betroffenen neigen dazu, Impulse ohne Berücksichtigung von Konsequenzen auszuagieren und leiden unter häufigen Stimmungsschwankungen. Ihre Fähigkeit vorauszuplanen ist gering und Ausbrüche intensiven Ärgers können zu explosivem, manchmal gewalttätigem Verhalten führen. Zudem sind das Selbstbild und die Zielvorstellungen unklar und gestört. Die Neigung zu intensiven, aber unbeständigen zwischenmenschlichen Beziehungen kann zu wiederholten emotionalen Krisen mit Suiziddrohungen/Suizidversuchen oder selbstschädigenden Handlungen führen.

Eine Borderlinestörung liegt mit großer Wahrscheinlichkeit vor, wenn ein Mensch unter mindestens fünf der folgenden neun Symptome leidet:

  • Unbeständige und unangemessen intensive zwischenmenschliche Beziehungen,
  • Impulsivität bei potentiell selbstzerstörerischen Verhaltensweisen,
  • Starke Stimmungsschwankungen,
  • Häufige und unangemessene Zornausbrüche,
  • Selbstverletzungen und Suiziddrohungen/Suizidversuche,
  • Fehlen eines klaren Ichidentitätsgefühls,
  • Chronische Gefühle von Leere und Langeweile,
  • Verzweifelte Bemühungen, die reale oder eingebildete Angst vor dem Verlassenwerden zu vermeiden,
  • Stressabhängige paranoide Phantasien oder schwere dissoziative Symptome.

Diese Symptome werden unter Symptomatik jeweils kurz beschrieben. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nicht jede Borderlinepersönlichkeit unter allen Symptomen leidet und die Symptome bei jedem Betroffenen andere Ausprägungen annehmen.

Vorkommen

Etwa ein Prozent der Bevölkerung erkrankt an der Borderline Persönlichkeitsstörung. Die Borderlinestörung zählt demnach zu den häufigsten psychischen Störungen. Bei 20 Prozent aller Patienten, die in psychiatrischen Krankenhäusern aufgenommen werden zeigen sich Symptome der Borderline Persönlichkeitsstörung.

Ein Viertel der Betroffenen ist männlich. Betroffen sind meist Mädchen und Frauen im Alter zwischen 15 und 25 Jahren.

Symptome Symptom: Unbeständige und unangemessen intensive zwischenmenschliche Beziehungen

Menschen mit Borderlinestörung führen meist unbeständige und unangemessen intensive Beziehungen zu anderen Menschen. Diese zeichnen sich durch extreme Verschiebungen der Einschätzung des Beziehungspartners, die zwischen Idealisierung und Abwertung schwankt, und ständige Versuche, den Beziehungspartner zu manipulieren, aus. Die Intensität der Beziehungen ergibt sich aus der Intoleranz der Borderlinepersönlichkeit gegenüber Trennungen, ihre Unbeständigkeit aufgrund fehlender „Objektkonstanz“. Fehlende „Objektkonstanz“ bedeutet, die Fähigkeit, andere als komplexe Menschen wahrzunehmen, die sich in Ihrer Gesamtheit dennoch widerspruchsfrei verhalten können.

Der Borderliner entwickelt eine Abhängigkeit zum Partner und idealisiert ihn, solange dieser seine Bedürfnisse befriedigt. Erfährt er Zurückweisung oder Enttäuschung verfällt er ins andere Extrem und wertet den Partner ab, ohne sich jedoch von ihm trennen zu können. Dann eskaliert das manipulierende Verhalten des Borderliners, er zeigt sich schwach und hilflos, neigt z. B. zu Hypochondrie, Masochismus, Selbstverletzungen und Suiziddrohungen/Suizidversuchen.

Symptom: Selbstschädigende Verhaltensweisen Die Borderlinepersönlichkeit neigt zu Impulsivität bei potentiell selbstschädigendem Verhalten. Typisch sind z. B. Alkohol- und Drogenmissbrauch, sexuelle Promiskuität, Spielsucht, Kleptomanie und Essstörungen. Diese Impulsivität steht in engem Zusammenhang mit anderen Symptomen. Sie kann z. B. aus den Frustrationen einer gestörten Beziehung entstehen, Ausdruck von Stimmungsschwankungen oder Zornausbrüchen sein oder der Versuch, die Gefühle von Einsamkeit und Trennungsangst zu betäuben. Symptom: Starke Stimmungsschwankungen Die Grundstimmungen der Borderlinepersönlichkeit sind häufig überaktiv oder pessimistisch. Von dieser Grundstimmung lassen sich jedoch auffällige Stimmungsschwankungen in Richtung Depression, Reizbarkeit oder Angst beobachten. In nur zwei Minuten von „himmelhochjauchzend“ bis „zu Tode betrübt“ – treffender lassen sich die Stimmungsschwankungen von Borderline-Patienten kaum charakterisieren. Dabei sind die Betroffenen sich aufgrund ihrer gestörten Persönlichkeit der raschen Stimmungswechsel zwischen Euphorie und Depression kaum bewusst. Sie reagieren oft unmittelbar auf plötzliche Impulse und können Wut schlecht kontrollieren. Die Stimmungsschwankungen sind in der Regel von kurzer Dauer und halten meist nur ein paar Stunden oder ein paar Tage an. Symptom: Unangemessene Zornausbrüche Borderliner neigen zu häufigen Zornausbrüchen, die in ihrer Intensität oft nicht oder kaum kontrolliert werden können und zeitweilig auch zu körperlicher Gewalt führen. Diese Zornausbrüche stehen in ihrer Intensität in keinem Verhältnis zu den auslösenden Ereignissen, basieren vielmehr auf einer massiven Angst vor Enttäuschung und dem Verlassenwerden. Symptom: Selbstverletzungen, Suizidversuche

Borderliner suchen Entlastung von einem extremen inneren Druck. Weil sie diese Entlastung im Alltag nicht finden, zerschneiden sich Menschen mit Borderline-Persönlichkeitsstörungen die Arme, drücken Zigaretten auf ihrem Körper aus, verweigern die Nahrungsaufnahme oder essen bis zum Brechanfall und schlucken Alkohol und Tabletten bis zur Besinnungslosigkeit.

Wiederkehrende Suiziddrohungen/ -versuche und Selbstverletzungen zählen ebenfalls zu den typischen Borderlinesymptomen. Sie finden ihren Ausdruck z. B. in selbstbeigebrachten Schnitt- und Stichverletzungen an Gliedmaßen, Rumpf und Genitalien oder durch Exzesse mit Drogen, Alkohol und Nahrungsmitteln. Meist beginnt die Selbstverletzung als impulsive Selbstbestrafung, entwickelt sich aber nach und nach zu einem einstudierten und ritualisierten Verhalten. Suiziddrohungen/-versuche und Selbstverletzungen sind unterschiedlich motiviert und können z. B. wie folgt interpretiert werden:

  • Versuch, erlittene psychischen Schmerz mitzuteilen,
  • Hilferuf,
  • Selbstbestrafung,
  • Bestrafung nahestehender Menschen,
  • Ablenkung von anderen Leidensformen,
  • Abbau von Angst, Zorn oder Traurigkeit (als Entspannungstechnik) .

Symptom: Fehlen eines klaren Ich-Identitätsgefühls Borderliner leiden unter einer andauernden Identitätsstörungen, die sich z. B. auf die Bereiche Selbstbild, sexuelle Orientierung, Berufswahl, langfristige Ziele, Wertesystem und Art der gewünschten Partner/Freunde erstrecken kann. Sie fühlen sich z. B. in ihrer Rolle als Mann oder Frau nicht wohl, meinen, nicht liebenswert und einfach nur nutzlos zu sein. Den Betroffenen fehlt deshalb ein konstantes Identitätsgefühl, sie akzeptieren ihre Eigenschaften wie Intelligenz und Attraktivität nicht als konstantes Gut, sondern als Eigenschaften, die immer wieder neu verdient und im Vergleich mit anderen beurteilt werden müssen. Das Selbstwertgefühl und die Fähigkeit zur Selbstachtung basieren beim Borderliner deshalb nicht auf in der Vergangenheit erbrachten Leistungen, sondern auf aktuellen (Miss-)Erfolgserlebnisse und Rückmeldungen durch Dritte. Daraus resultieren oft übermäßiges Engagement und ein unrealistisches Streben nach Perfektion (mit entsprechenden Misserfolgserlebnissen), aber auch der häufige Wunsch nach Veränderung im Berufs-/Privatleben. Symptom: Chronische Langeweile und Leere Borderlinepersönlichkeiten leiden oft unter chronischen Gefühlen von Leere und Langeweile. Diese Emotionen werden sehr intensiv, oft verbunden mit körperlichen Empfindungen (z. B. Druck im Kopf, Spannungen in der Brust) erlebt. Die Suche nach Erleichterung von diesen belastenden Emotionen endet für die Betroffenen oft in impulsiven und selbstschädigenden Handlungen oder in enttäuschenden Beziehungen. Symptom: Angst vor dem Verlassenwerden Wenn Borderliner allein sind, verlieren sie aufgrund ihrer gestörten Ichidentität häufig das Gefühl für die Realität ihrer Existenz. Erschwerend kommt hinzu, dass sie oft auch vorübergehendes Alleinsein als dauerhafte Isolation wahrnehmen. Borderlinepersönlichkeiten erleben deshalb immer wieder starke Angst vor dem Verlassenwerden durch nahestehende Personen. Diese Angst motiviert die Betroffenen zu verzweifelten Bemühungen, dieses Verlassenwerden zu vermeiden. Dabei greifen sie auch zu extremen Mitteln (z. B. Selbstverletzung, Suizidversuche), um den nahestehenden Menschen unter Druck zu setzen und führen auch schädliche Beziehungen (z. B. mit Gewalt-/ Missbrauchserlebnissen) bis zur völligen Selbstaufgabe fort. Werden Borderlinepersönlichkeiten trotz dieser Bemühungen verlassen, durchleben sie meist intensive emotionale Krisen, in deren Verlauf die hier beschrieben Symptome oft sogar noch verstärkt auftreten. Symptom: Stressabhängige paranoide Phantasien oder schwere dissoziative Symptome In schwierigen, unerträglichen Situationen gelangen Borderliner in „dissoziative“ hypnoseähnliche Zustände. Borderlinepersönlichkeiten leiden gelegentlich auch unter psychotischen Episoden. Möglich sind beispielsweise pseudo-halluzinatorische Erlebnisse, Störungen in der Körperwahrnehmung und auf den Konfliktbereich beschränkte Denk- und Wahrnehmungsstörungen. Diese treten meist als Folge emotionaler Erregung auf und gehen, auch ohne Behandlung, in der Regel nach wenigen Stunden oder Tagen vorüber. Die Borderlinepersönlichkeiten erleben diese Episoden als ich-dyston (ich-fremd).

Formen

Es werden keine Unterformen unterschieden.

Verlauf

Die Chance auf eine völlige Heilung der Borderlinestörung ist eher gering. Die Prognose ist um so schlechter, je früher und je intensiver die Störung ausbricht. Heute ist davon auszugehen, dass bei rund 10 % der Borderlinepersönlichkeiten die Störung im Laufe der Zeit so weit zurückgeht, dass die Diagnose Borderline nicht mehr zutrifft, obwohl die meisten Betroffenen nach wie vor Symptome einer leichten Persönlichkeitsstörung zeigen. In einigen Quellen finden sich Hinweise auf neue Therapieformen, die deutlich höhere Heilungschancen versprechen. Eine Bestätigung dieser Ergebnisse ist abzuwarten.

Viele Borderliner führen (gegebenenfalls mit Unterstützung einer begleitenden Psychotherapie) ein über weite Strecken relativ „normales“ Leben. Dabei können aber immer wieder auch stationäre Therapien notwendig werden. Eine besondere Gefahr ergibt sich für Borderlinepersönlichkeiten aus ihrer Neigung zu selbstschädigendem Verhalten. So können z. B. massiver Alkohol-/ Drogenmissbrauch, Essstörungen, Selbstverletzungen oder Suizidversuche immer wieder die Gesundheit oder sogar das Leben der Betroffenen gefährden.

Ursachen

Als Ursachen einer Borderlinestörung kommen vor allem folgende Faktoren in Frage, wobei bei vielen Patienten auch mehrere Ursachen auslösend sind:

  • Entwicklungsstörungen in den ersten drei Lebensjahren (Borderliner lernen nicht, dass eine Person (vor allem die Mutter) „gut“ und „böse“ sein kann, sondern halten diese Züge eines Menschen voneinander getrennt,
  • (Sexueller) Missbrauch,
  • Emotionale Vernachlässigung,
  • Traumatische Erlebnisse,
  • Konflikte im Jugendalter (z. B. im Rahmen der Ablösung vom Elternhaus).

Zudem sorgen viele gesellschaftliche Veränderungen dafür, dass sich aus einer leichten Persönlichkeitsstörung eine massive Borderlinestörung entwickeln kann. Insbesondere die Individualisierungstendenz, verbunden mit einem Rückgang der Unterstützung durch Familie und sozialem Umfeld, sind hier als Beispiele zu nennen.

Therapie

Eine Borderlinestörung kann kaum direkt durch Medikamente behandelt werden. Sinnvoll ist aber, je nach Intensität der Symptome, gegebenenfalls die Gabe von Lithiumpräparaten (zur Dämpfung der Stimmungsschwankungen), von Antidepressiva (zur Linderung der Depressionen) und/oder von gering dosierten Neuroleptika (um psychotische Symptome aufzufangen).

Aus dem Spektrum der psychotherapeutischen Methoden kommen vor allem Verhaltens-, Sozial- und Gruppentherapien zum Einsatz. Ziel dieser Therapien ist ein schrittweises Erlernen von angemessenem Sozialverhalten als Ersatz für gestörtes Verhalten. Wichtig sind dabei die Konstanz hinsichtlich der Bezugspersonen und vorsichtige restrukturierende Maßnahmen im sozialen Umfeld. Bei der Kommunikation mit Borderlinepatienten hat sich sowohl für Therapeuten als auch für Bezugspersonen aus dem sozialen Umfeld die sogenannte SET-Kommunikation als hilfreich erwiesen. Danach sollen Kommunikationsprozesse mit Borderlinepersönlichkeiten durch die Botschaften Support (Unterstützung), Empathy (Mitgefühl) und Truth (Wahrheit) geprägt sein.

Für die Therapie von basalen Störungen wie der Borderlinestörung eignet sich insbesondere auch die psychoanalytisch-interaktionelle Psychotherapie. Zentrales therapeutisches Ziel der psychoanalytisch-interaktionellen Therapie ist eine Veränderung gestörter Objektbeziehungen in Richtung auf triadische Ganzobjektbeziehungen (Heigl-Evers u. a. 1997). Die Therapie soll durch das Angebot eines ausreichend guten Objektes, das zur Verinnerlichung einlädt, gefördert werden. Der therapeutische Prozess soll also in einer Weise gefördert und beeinflusst werden, dass

  • Teilobjekte durch Ganzobjekte mit entsprechenden personalen Beziehungsmodi abgelöst werden können,
  • Konflikte die im interpersonellen Feld als Manifestationen primitiver Übertragungen entstanden sind, in ihren Entstehungszusammenhängen erfasst und verstanden werden und in den Innenraum des Patienten verlagert werden können, d. h. nicht mehr auf der „äußeren Bühne“, sondern auf der „inneren Bühne“ ausgetragen werden,
  • Affekte sich zunehmend differenzieren und signalgebende Funktion gewinnen,
  • Toleranzen für Frustrationen und Affekte erhöht werden,
  • die Realitätsprüfung und ihrer Subfunktionen wie die des Urteilens verbessert werden,
  • ein Transfer wichtiger Regulierungsfunktionen von den (Teil-) Objektrepräsentanzen auf die Repräsentanzen des Selbst erfolgt,
  • eine Stabilisierung der Selbst- und Objektrepräsentanzen und Entwicklung einer konturierenden Identität zustande kommt,
  • ein funktionsfähiges (ödipales bzw. postödipales) Über-Ich mit depersonifizierten Werten und Normen, die ins Ich integriert werden können, zur Entwicklung gelangt und für die Triebentwicklung eine Weichenstellung in Richtung postödipaler Genitälität vollzogen wird.