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Allgemeine Informationen zur Benzodiazepinabhängigkeit
Arzneimittel oder Pharmaka (Medikamente) sind synthetische oder natürliche Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die zur Anwendung am oder im menschlichen Körper bestimmt sind. Medikamente werden von ÄrztInnen verordnet. Ihre Einnahme ist gesellschaftlich akzeptiert.
Als Psychopharmaka werden Medikamente bezeichnet, die der Behandlung psychischer Beschwerden und neurologischer Erkrankungen dienen. Zu den Psychopharmaka gehören Sedativa, Hypnotika, Stimulanzien, Neuroleptika und Antidepressiva. Weitere Psychopharmaka dienen der Behandlung von Epilepsien und von Demenzerkrankungen.
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Nur ein Teil der Psychopharmaka besitzt ein substanzbezogenes Missbrauchs- bzw. Abhängigkeitspotenzial. Bei den Antidepressiva und Neuroleptika wird dieses als gering eingeschätzt, kommt aber im Zusammenhang mit dem Missbrauch von anderen Substanzen vor (Keup zit. bei Mohn, Plenter, 2006).
Psychotrope Stoffe wirken auf das Zentralnervensystem und beeinflussen psychische Prozesse. Man spricht auch von psychoaktiven Substanzen, die das Bewusstsein und Verhalten eines Menschen verändern. Solche Veränderungen reichen von einer leichten Anregung bis zu tiefreichenden Veränderungen des Bewusstseinszustandes und des emotionalen Erlebens. Eine Reihe psychotroper Arzneimittel haben ein hohes Abhängigkeitspotenzial, d. h. ihre missbräuchliche Einnahme führt in die Abhängigkeit.
Im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes sind psychotrope Substanzen Stoffe, die eine psychische und physische Abhängigkeit erzeugen. Solche Stoffe werden auch als Suchtmittel bezeichnet. Dazu gehören legale Suchtmittel wie z. B. Alkohol, Nikotin, Arzneimittel wie Schlafmittel, Schmerzmittel, Beruhigungsmittel und illegale Suchtmittel, das sind Substanzen (illegale Drogen), die im Übereinkommen von 1971 über psychotrope Stoffe (BGBl. 1976 II S. 1477) genannt und nicht auf Rezept erhältlich sind.
Nach Angaben der Deutschen Hauptstelle gegen die Suchtgefahren (DHS) besitzen etwa 6 bis 8 % aller verordneten Arzneimittel ein Missbrauchs- und Abhängigkeitspotential. Dazu zählen alle psychotropen Arzneimittel wie z. B. Schlafmittel (Hypnotika) und Tranquilizer (Beruhigungsmittel) vom Benzodiazepin-Typ und Barbitursäure-Typ, zentral wirkende Schmerzmittel, codeinhaltige Medikamente oder Psychostimulantien. Etwa 1/3 dieser Mittel wird nach Angaben der Deutschen Hauptstelle gegen die Suchtgefahren nicht wegen akuter Probleme, sondern langfristig zur Suchterhaltung und zur Vermeidung von Entzugserscheinungen verordnet (DHS).
Neben den genannten Gruppen werden eine Reihe weiterer Medikamente missbräuchlich verwendet. Der Missbrauch entsteht dabei zum Teil durch den Konsum anderer psychoaktiver Substanzen (z. B. Alkohol, illegale Drogen, Designerdrogen), im Zusammenhang mit Ess-Störungen (Abführmittel, Diuretika), zur Leistungssteigerung im Freizeit- und Leistungssport und vor allem im Bereich der Selbstmedikation bei Beschwerden und Erkrankungen. Eine hervorgehobene Rolle spielen hier die rezeptfreien Schmerzmittel, wobei insbesondere den Kombinationsanalgetika mit Koffein ein besonderes Missbrauchspotenzial zugeschrieben wird (Mohn, Plenter, 2006).
Etwa 5 bis 6 % aller in Deutschland verordneten Arzneimittel besitzen ein eigenes Missbrauchs- und Abhängigkeitspotenzial (Glaeske, 2006). Die Zahl der Medikamentenabhängigen in Deutschland wird mit 1,4 bis 1,9 Millionen Menschen angegeben. Weitere 1,7 Millionen Menschen müssen als mittel- bis hochgradig gefährdet eingestuft werden, eine Medikamentenabhängigkeit
zu entwickeln. Es ist davon auszugehen, dass etwa jeder zwanzigste erwachsene Bundesbürger akut von einer Abhängigkeit oder dem Missbrauch von Medikamenten mit einem Suchtpotenzial betroffen ist. Hinzu kommen die Personen, die rezeptfreie Arzneimittel missbrauchen und somit schwer zu erfassen sind (N.N., 2007c).
Von den etwa 1,4 bis 1,9 Mio. Medikamentenanhängigen sind etwa 1,1 Mio. abhängig von Medikamenten vom Benzodiazepintyp. Die Dunkelziffer ist vermutlich hoch. In den vergangen 10 Jahren sind zwar die Benzodiazepin-Verordnungen (Rückgang von 1,8 Mio. Verordnungen im Jahr 2003 auf 1,5 Mio. im Jahr 2006) zu Lasten der GKV rückläufig, jedoch zeigen Untersuchungen, dass immer mehr Benzodiazepin-Verordnungen auf Privatrezept ausgestellt werden. Außerdem wurden weniger verordnete Benzodiazepine durch Verschreibungen von Zolpidem und Zolpiclon (Wirkstoffe mit geringerem Abhängigkeitspotenzial) kompensiert (N.N., 2007d).
In Deutschland nehmen 10 bis 17 % der Bevölkerung einmal im Verlauf eines Jahres ein Benzodiazepinpräparat ein. Etwa 1 bis 2 % der Erwachsenen nehmen mindestens ein Jahr lang täglich ein solches Mittel. Der Missbrauch von Benzodiazepinen hat demnach das Ausmaß einer Epidemie angenommen. Vorstellungen, dass dieses Problem im Vergleich zum Alkohol oder angesichts eines riesigen Verschreibungsvolumens als proportional gering anzusehen ist, sind falsch. Der Benzodiazepinmissbrauch ist heute nach dem Alkoholmissbrauch die zweitgrößte Missbrauchsproblematik in der Bundesrepublik. Abhilfe ist dringend nötig (Glaeske, 2001).
Benzodiazepine
Benzodiazepine sind rezeptpflichtige Medikamente, die als Tropfen oder in Tablettenform zur Behandlung von Spannungs-, Erregungs- und Angstzuständen, Phobien und hartnäckigen psychosomatischen Störungen verabreicht werden. Darüber hinaus werden sie u. a. bei behandlungsbedürftigen Schlafstörungen, Erregungszuständen, Hirnkrampfanfällen und bei muskulären Verspannungen eingesetzt. Sie werden außerdem zur Narkoseeinleitung und häufig auch zur Beruhigung und Entspannung vor operativen und diagnostischen Eingriffen, wie zum Beispiel vor einer Magenspiegelung, verabreicht. Nicht selten werden diese Medikamente jedoch auch bei allgemeinen Befindlichkeitsstörungen wie Nervosität, Überlastung und Erschöpfung verordnet und verwendet. Tabelle 1 gibt eine Übersicht der handelsüblichen Medikamente vom Benzodiazepintyp und der jeweiligen Wirkstoffe.
Tabelle 1: Handelsübliche Medikamente vom Benzodiazepintyp
Gruppe Benzodiazepine | |
Handelsname | Inhaltsstoffe |
Adumbran |
Oxazepam |
Dalmadorm |
Flurazepam |
Demetrin |
Prazepam |
Diazepam |
Diazepam |
Frisium |
Clobazam |
Halcion |
Triazolam |
Lexotanil |
Bromazepam |
Librium |
Chlordiazepoxid |
Limbatril |
Chlordiazepoxid + Amitriptylin |
Mogadan |
Nitrazepam |
Normoc |
Bromazepam |
Oxazepam |
Oxazepam |
Praxiten |
Oxazepam |
Prodorm |
Lorazepam |
Remestan |
Temazepam |
Rivotril |
Clonazepam |
Rohypnol |
Flunitazepam |
Silentan a. H. |
Diazepam + Acetylsalicylsäure |
Staurodorm Neu |
Flurazepam |
Tavil |
Alprazolam |
Tavor |
Lorazepam |
Tranquase |
Diazepam |
Tranxilium |
Dikaliumchlorazepat |
Tranxilium N |
Nordazepam |
Valiquid |
Diazepam |
Valium |
Diazepam |
Wirkung von Benzodiazepinen
Benzodiazepine wirken auf das Zentralnervensystem an spezifischen Benzodiazepin-Haftstellen und haben eine anxiolytische, sedativ-hypnotische, muskelrelaxierende und antikonvolsive Wirkung. Sie entspannen, beruhigen, wirken angst- und krampflösend, vermindern oder beseitigen psychovegetative Beschwerden (Herzklopfen, Zittern, Muskelverspannungen) und zeichnen sich durch aggressionsdämpfende und schlafanstoßende Wirkung aus.
Die Benzodiazepin-Haftstellen befinden sich im Gehirn, Rückenmark und in peripheren Organen. Über diese Rezeptoren wird an den Schaltstellen (Synapsen) der Nervenzellen die Aktivität des hemmenden Neurotransmitters Gamma-Amino-Buttersäure (GAB) verändert. Hierdurch werden auch nachgeschaltete Überträgerstoffe, wie z.B. Noradrenalin, Acetylcholin und Serotonin beeinflusst, woraus sich die verschiedenen pharmakologischen Wirkungen ergeben.
Nach Untersuchungen von Keup (1993) über häufig missbrauchte Tranquilizer, ergibt sich durch die Auswertung von insgesamt 7.446 Benzodiazepin-Fällen (100 %) folgende Reihenfolge der am häufigsten missbrauchten benzodiazepinhaltigen Tranquilizer:
- Valium mit 2.676 Nennungen (35,9 %),
- Lexotanil mit 1.284 Nennungen (17,2 %) und
- Tavor mit 535 Nennungen (7,2 %).
Bei den benzodiazepinhaltigen Hypnotika ergab die Auswertung folgendes Bild:
- Rohypnol mit 1.294 Nennungen (17,4 %),
- Dalmadorm mit 796 Nennungen (10,7 %) und
- Mogandan mit 137 Nennungen (1,8 %).
Sowohl bei den Tranquilizern als auch bei den Hypnotika wird in rd. 63 % der Fälle das ärztliche Rezept als Beschaffungsquelle angegeben. Die mittlere Missbrauchsdauer bei den dokumentierten Fällen betrug rd. 36 Monate. Die Hälfte aller Missbraucher waren Frauen. In seiner Zusammenfassung schreibt Keup (1993), dass praktisch alle Benzodiazepine das gleiche oder annähernd das gleiche Missbrauchspotential besitzen. Die von den Missbrauchern gesuchte Qualität ist kaum abhängig von dem Einsatz der Präparate als Anxiolytika oder Hypnotika, der Wirkdauer der einzelnen Präparate und dem Verschreibungsvolumen.
Chemische Zusammensetzung
Nach ihrer chemischen Zusammensetzung werden 1,4- und 1,5-Benzodiazepine sowie modifizierte Benzodiazepine unterschieden. Die Wirkungen der Substanzen unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Ausprägung, der Schnelligkeit des Wirkungseintritts, in der Wirkdauer, in der Art der Verstoffwechselung und in der Zeit, die der Organismus zum Abbau benötigt. Dieser Abbau kann sich je nach Wirkstoff einige Stunden bis mehrere Tagen erfordern.
Metabolismus
Die meisten Benzodiazepine haben eine lange Halbwertszeit (Zeit, in der die Medikamente zur Hälfte umgesetzt werden). Sie beträgt je nach Wirkstoff mehr als zwei Tage (s. Tabelle 2), so dass es im Organismus zu einer Anreicherung der Substanz kommt. Diese Anreicherung kann bei hohen Einnahmemengen zu Gedächtnisstörungen und zu einer verminderten Wahrnehmungs- und Reaktionsfähigkeit führen, d. h insbesondere die Fahrtüchtigkeit ist stark eingeschränkt. Infolge unerwünschter Muskelentspannungen sind darüber hinaus Stürze nicht selten, deren Folgen komplizierte Verletzungen sein können. Abgesehen von den gelegentlich möglichen unerwünschten Nebeneffekten wie Müdigkeit, Kopfschmerzen, Niedergeschlagenheit, Muskelschwäche, Benommenheit und Schwindelgefühl ist bei einer einmaligen oder kurzzeitigen Einnahme zu therapeutischen Zwecken jedoch in der Regel kaum von einem gesundheitlichen Risiko auszugehen. Wegen der geringen Nebenwirkungen werden Benzodiazepine von den Konsumenten i. d. R. als angenehm empfunden.
Tabelle 2: Wirksamkeit und Abbau von Benzodiazepinpräparaten (Dilling u. Reimer, 1994)
Kurze Halbwertzeit
|
Mittlere Halbwertzeit
|
Lange Halbwertzeit
|
< 12 h
|
12 bis 24 h |
> 24 h |
Temazepam
|
Lorazepam
|
Diazepam
|
Triazolam
|
Flunitazepam
|
Nitrazepam
|
Oxazepam
|
Flurazepam
| |
Lormetazepam
|
Chlordiazepoxid
|
Abhängigkeitsentwicklung bei Benzodiazepinen
Von einem sehr hohen Risiko ist jedoch auszugehen, wenn Benzodiazepine über eine längere Zeit eingenommen werden, da dann die Gefahr der Gewöhnung und Toleranzbildung und schließlich einer Abhängigkeitsentwicklung besteht. Auch bei bestimmungsgemäßem Gebrauch kann bei einer unkritischen Verordnung und Anwendung eine Abhängigkeitsentwicklung entstehen. Die gezielte Einnahme geht nicht selten in einen Dauerkonsum über. Dieser dient dann einer individuellen Befindlichkeitsmanipulation und hat nichts mehr mit dem ursprünglichen therapeutischen Zweck zu tun. Nach Dilling und Reimer (1994) entsteht bei etwa 25 % Prozent der Benzodiazepin-Konsumenten, die das Medikament über einen längeren Zeitraum als 6 Monate einnehmen eine psychische und körperliche Abhängigkeit.
Nach einer Studie von Remien (1994) zeigt sich ein auffälliger Anstieg der Abhängigkeitsproblematik mit zunehmendem Alter. Wie Tabelle 3 zu entnehmen ist, sind z. B. 27 % aller Frauen über 60 Jahre abhängigkeitsgefährdet. Bei der Verordnung von Tranquilizern müssen demnach mehr als 20 % der über 60jährigen Frauen und Männer als bereits abhängig oder stark abhängigkeitsgefährdet klassifiziert werden (Glaeske, 2001).
Tabelle 3: Abhängigkeitspotential der Tranquilizer (Remien, 1994)
Alter |
Abhängigkeitspotential bei Frauen |
Abhängigkeitspotential bei Männern |
40 – 49 |
11,2 % |
10,0 % |
50 – 59 |
19,0 % |
16,7 % |
60 – 69 |
27,0 % |
20,3 % |
70 und älter |
28,9 % |
22,0 % |
Die Gefahr einer Abhängigkeitsentwicklung ist unabhängig vom Alter natürlich vor allem dann gegeben, wenn die Einnahme nicht aufgrund medizinischer Indikationen oder nach therapeutischen Absprachen erfolgt. Gewarnt wird nochmals vor einem Dauerkonsum, der auch bei ordnungsgemäßem Gebrauch zu einer Abhängigkeit führen kann. Dauergebrauch, periodischer Missbrauch und Abhängigkeitsentwicklung gehen oft nahtlos und innerhalb kurzer Zeit ineinander über.
Bei einer Benzodiazepinabhängigkeit wird zwischen der Form der primären Hochdosisabhängigkeit, der häufiger anzutreffenden primären Niederdosisabhängigkeit und der sekundären Benzodiazepinabhängigkeit unterschieden (DHS, 2001):
- Primäre Hochdosisabhängigkeit: Kennzeichen sind eine starke körperliche und psychische Benzodiazepinabhängigkeit, verbunden mit einer Dosissteigerung, allmählichen Persönlichkeitsveränderungen und schweren Entzugssymptomen beim Absetzen der Medikamente (Substanzentzug).
- Primäre Niederdosisabhängigkeit (größter Teil der Bezodiazepinabhängigen): Diese Abhängigkeitsform ist gekennzeichnet durch die tägliche Einnahme einer geringen, im therapeutischen Bereich liegenden Dosis. Auch wenn es zu keiner Dosissteigerung kommt, kann es bei abrupten Absetzversuchen zu heftigen Entzugssymptomen kommen, die oft eine erneute Einnahme der Substanz zur Folge haben.
- Sekundäre Benzodiazepinabhängigkeit: Diese ebenfalls häufig anzutreffende Abhängigkeitsform ist vor allem bei Mehrfachkonsumenten (Konsumenten, die verschiedene Drogen einschließlich Alkohol nehmen) anzutreffen. In diesen Fällen hat sich sekundär, d. h. neben einer bereits bestehenden Abhängigkeit von anderen Substanzen, eine Benzodiazepinabhängigkeit entwickelt.
Benzodiazepinabhängige fühlen sich nur selten abhängig, weil sie die Folgen (Symptome) einer Benzodiazepineinnahme nicht erkennen oder nicht wahrhaben wollen. Diese Symptome zeigen sich zunächst typischerweise in einer leichten kognitiven Beeinträchtigung, einer fehlenden körperlichen Spannkraft und einem Mangel an einer spürbaren gefühlsmäßigen Beteiligung an der Umwelt. Die Zeichen einer chronischen Benzodiazepin-Einnahme können nach Faust und Baumhauer (1998) entsprechend folgender Liste zusammengefasst werden. Liste: Zeichen einer chronischen Benzodiazepineinnahme (Faust und Baumhauer, 1998)
- affektive Indifferenz
- dysphorische Verstimmungszustände
- Überforderung bzw. Vermeidung von neuen oder belastenden Situationen
- Kritikschwäche
- Appetitlosigkeit
- Vergesslichkeit und psychische Leistungsminderung
- muskuläre Schwäche, ggf. mit Reflexverlust
Entzugssymptome bei Benzodiazepinabhängigkeit
Zu den Entzugssymptomen zählen u. a. vermehrtes Schwitzen, Schlaflosigkeit, Angstzustände, Alpträume, Tremor, Übelkeit und Erbrechen, erhöhte Irritierbarkeit, Schwindelgefühle, Tachykardie, Muskelverspannungen, Muskelzittern, mnestische Störungen, abdominelle Krämpfe, Affekt- und Antriebsstörungen, Depersonalisations- und Derealisationsphänomene, Reizüberempfindlichkeit, optische Wahrnehmungsverzerrungen, Dysästhesien, kinästhetische Störungen, Synästhesien, Entzugspsychosen (paranoid-halluzinatorische und ängstlich-depressive Syndrome, Delir) und Krampfanfälle.
Störungen der verschiedenen Sinnesmodalitäten sind typisch für den Benzodiazepinentzug. Häufig zeigt sich das Bild eines klassischen Entzugsdelirs oder einer Entzugspsychose mit Krampfanfällen. Die Stärke der Entzugssymptome ist abhängig vom Alter, von der Dosis und vor allem von der Dauer der Einnahme der Benzodiazepine. Im Gegensatz zum Alkoholentzug, der in der Regel nach 14 Tagen beendet ist, dauert der Benzodiazepinentzug oft Wochen bis Monate. Befindlichkeitsstörungen finden sich auch noch nach Jahren der Abstinenz.
Die Entzugssymptomatik bei Betroffenen mit einer Hochdosis-Benzodiazepinabhängigkeit (High-Dose-Dependence) ist in der Regel schwerer als bei Betroffenen mit einer Niedrigdosis-Abhängigkeit (Low-Dose-Depandence). Ferner führen Benzodiazepine mit einer kürzeren Halbwertzeit beim Absetzen grundsätzlich zu größeren Problemen als solche mit einer längeren Halbwertzeit.
Comorbität, Alkohol und Verordnungspraxis
Alkoholismus und Benzodiazepinabhängigkeit stehen oft in einem engen Zusammenhang. Im Allgemeinen gilt Alkoholismus bei weitem als ein grosser Risikofaktor für die Entstehung einer Benzodiazepinabhängigkeit.
Die in der Vergangenheit und auch heute noch oftmals unkritische Verordnungspraxis und Einnahmepraxis führte zu zahlreichen Abhängigkeitsentwicklungen. Wie die Deutsche Hauptstelle gegen die Suchtgefahren (DHS) ausführt, „wird die Prävention gegen Missbrauch und Abhängigkeit bereits auf der Verschreibungsebene vernachlässigt – möglicherweise auch, weil pharmakologische und pharmakodynamische Charakteristika der jeweiligen Arzneimittel nicht ausreichend berücksichtigt werden oder überhaupt nicht bekannt sind“. Dies mag einer der Gründe für etwa 1,5 Millionen Arzneimittelabhängige in Deutschland sein.
Die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft fordert daher zur Verordnung von Benzodiazepinen:
- eine sorgfältige Indikationsstellung,
- keine Verschreibung bei Patienten mit Abhängigkeitsanamnese,
- die Verordnung der kleinsten Packungseinheit,
- die Verordnung möglichst niedriger aber ausreichender Dosierung,
- die Vereinbarung der Therapiedauer mit dem Patienten vor Behandlungsbeginn,
- die Überprüfung der Behandlungsnotwendigkeit in kurzen Zeitabständen,
- eine schrittweise Verminderung der Dosis nach längerfristiger Anwendung.
Benzodiazepine dienen u. a. der psychopharmakologischen Therapie von Angstzuständen, Schlafstörungen und Unruhezuständen aller Art, d. h. sie dienen der Verminderung von Symptomen wie z. B. Angst, Schlaflosigkeit, Unruhe und Anspannung, die häufig Ausdruck einer tieferliegenden psychischen Störung sind. So ist diffuse Angst (Angst, die ohne Grund auftritt) in der Regel Ausdruck von Konfliktspannungen, die auf ungelöste Probleme zurückzuführen sind. Durch die Einnahme von Benzodiazepinen verschwindet diese Angst häufig schnell und vollständig, d. h. es gibt für die Betroffenen keine Veranlassung mehr, sich um die Beseitigung der Ursachen der Angstzustände zu bemühen. Mit der Verminderung oder Beseitigung der Symptome ist jedoch das Problem nicht beseitigt. Die vor der Einnahme zu beobachtende diffuse Angst taucht nach Absetzen des Medikamentes wieder auf, und zwar häufig heftiger als zuvor. Dieses Erleben führt zu einer immer häufigeren Einnahme des Medikamentes, einer Gewöhnung und letztendlich in den Teufelskreis Sucht.