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Adipositas, Esssucht (Essstörung, Essstörungen)
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Adipositas ( Esssucht, Fettsucht) ist durch übermäßige Anhäufung von Fett im Körper gekennzeichnet. Eine übermäßige Ansammlung von Fettgewebe im Körper entsteht, wenn die Energiezufuhr, vor allem durch fettreiche Ernährung, den Energieverbrauch des Körpers übersteigt. Fettleibigkeit führt zu Begleit- und Folgeerkrankungen und einer kürzeren Lebenserwartung.
Adipositas gehört zu den chronischen Erkrankungen, die durch eine hohe Begleit- und Folgemorbidität gekennzeichnet sind. Für die Therapie ist ein langfristiges Behandlungs- und Betreuungskonzept erforderlich. Übergewicht (Adipositas) ist in der Bevölkerung weit verbreitet. Etwa jeder dritte Erwachsene Bundesbürger ist deutlich übergewichtig. Aufgrund der Begleit- und Folgekrankheiten verursacht die Krankheit hohe Kosten für das Gesundheitssystem. Fast 5 % aller Gesundheitsausgaben in den Industrieländern werden nach Angaben der Deutschen Adipositas-Gesellschaft für die Behandlung der Adipositas und ihrer Folgen aufgewendet.
Bei der Entstehung von Adipositas sind sowohl psychische als auch psychosoziale Faktoren von Bedeutung. Zu den psychischen Hintergründen von Essstörungen zählen u. a. Minderwertigkeitsgefühle, Frust und Ärger, Langeweile, falsche oder zweifelhafte Idealvorstellungen, Ängste, unkontrolliertes Essverhalten, zu hastiges Essen und falsche Gedankeninhalte wie z. B. "Zucker ist Nervennahrung".
Zu den psychosozialen Faktoren (Familie und Umfeld) gehören u. a. anerzogene Essgewohnheiten, wie z. B. der Teller muss leer gegessen werden, Konfliktsituationen im Beruf, in der Freizeit, in der Familie, in der Partnerschaft, mit Kindern und finanzielle Probleme. Häufig wird Essen auch als Ersatz für fehlende emotionale Zuwendung verwendet und dient als Ausgleich in Spannungssituationen.
Es gibt eine Reihe wissenschaftlicher Studien über den Einfluss der Familie und des Umfeldes auf die Entstehung von Übergewicht. Dabei ist unbestritten, dass Übergewicht in niedrigeren sozialen Schichten häufiger vorkommt. Man vermutet, dass bis zu 80 % der Kinder adipöser Eltern auch übergewichtig werden. Dies ist verständlich, denn in der Regel übernehmen die Kinder die Ernährungsweise ihrer Eltern.
Kinder halten sich zunehmend in Wohnungen auf und sitzen immer häufiger vor dem Fernseher bzw. beschäftigen sich mit Computerspielen. Durch den damit verbundenen Bewegungsmangel wird die Entstehung von Übergewicht und im übrigen auch von Aggressionen und Gewalt begünstigt. Viele Menschen sind einsamer und isolierter als früher. Essen dient immer häufiger als Ersatzbefriedigung und Trostspender. Menschen neigen zudem dazu bei Ärger, Streit, Langeweile oder in Stresssituationen, die damit verbundenen unangenehmen Gefühle (s. o.) durch Nahrungsaufnahme zu kompensieren. Auch hier dient Essen einer Ersatzbefriedigung.
In den letzten 100 Jahren haben sich die Ernährungsgewohnheiten vor allem in den Industrieländern grundlegend verändert. Diese Veränderungen des Essverhaltens stehen nach wissenschaftlichen Erkenntnissen in einem direkten Zusammenhang mit der Zunahme der Übergewichtsproblematik in diesen Ländern. So bestand die Nahrung um 1900 in Deutschland noch zu 60 bis 70 % aus Kohlehydraten und zu 20 bis 25 % aus Fett. Heute dagegen wird viel mehr Fett verzehrt. So stammen etwa 40 bis 45 % der gesamten Nahrungsenergie aus Fett und dies überwiegend aus Fett tierischer Herkunft. Der Kohlehydratanteil verminderte sich auf etwa 40 bis 45 % und besteht zunehmend aus minderwertigen Kohlehydraten ohne Vitamine und Mineralstoffen wie z. B. Industriezucker und nicht wie früher aus Kartoffeln und Getreideprodukten.
Nach einer Datenauswertung des Bundesgesundheitsamtes, hat jeder fünfte Deutsche eine Adipositas zweiten oder dritten Grades. Eine Übersicht über die Prävalenz der Adipositas bei Männern gibt Bild 1 und eine Übersicht über die Prävalenz bei Frauen Bild 2.
Bild 1: Prävalenz der Adipositas in Deutschland bei Männern (n. GBA 1994, zit. in Ellrot und Pudel, 1997).
Bild 2: Prävalenz der Adipositas in Deutschland bei Frauen (n. GBA 1994, zit. in Ellrot und Pudel, 1997).
Der Krankheitswert der Adipositas ergibt sich aus den psychosozialen Folgen (u. a. Diskriminierung), psychischen Folgen (u. a. Depressivität, Ängste, Verlust an Lebensqualität) und den körperlichen Folgeerkrankungen wie z. B. kardiovaskuläre Erkrankungen (Hypertonus), Diabetes mellitus, degenerative Gelenkerkrankungen, Venenleiden und bestimmte Karzinome. Wie hoch die Morbidität in der Bevölkerung durch Adipositas bedingt oder mitbestimmt wird zeigt u. a. die Erhöhung des Risikos um den Faktor sechs für einen Diabetes mellitus, wenn der Body-Mass-Index (BMI) von 24,9 auf mehr als 29,0 ansteigt (s. Tabelle 1).
Zur Diagnostik der Adipositas wird u. a. der Body-Mass-Index (Körpermasseindex) BMI herangezogen. Der BMI ergibt sich aus Division des Körpergewichtes durch die Körpergröße zum Quadrat und wird in kg/m2 angegeben.
Der BMI wird in verschiedene Gewichtsbereiche eingeteilt. Entsprechend dieser Bereiche wird die Adipositas nach Tabelle 1 in drei Grade unterteilt.
Tabelle 1: Formen der Adipositas (Ellrot und Pudel, 1997)
Klassifikation
BMI in kg/m2
Beispiel: Mann oder Frau (1,80 m)
Untergewicht
< 20
< 64,8 kg
Normalgewicht
20 – 24,9
64,8 – 80,7 kg
Übergewicht: Adipositas Grad I
25 – 29,9
80,8 – 96,9
Adipositas: Adipositas Grad II
30 – 30,9
97,0 – 129,3
extreme Adipostitas: Adipositas Grad III
> 40
> 129,3
In der Literatur sind Hinweise auf ein multifaktorielles Zusammenwirken mehrerer Ursachen (genetische Disposition, Essverhalten, Energiebilanz, soziale Faktoren, Psychodynamik, körperliche Aktivität) bei der Entstehung der Adipositas zu finden. Einigkeit besteht über einen ungewöhnlich hohen Einfluss des sozialen Umfeldes bei der Entstehung der Erkrankung (Uexküll, 1996).
Hintergründe für Essstörungen aus psychodynamischer Sicht:
Aus den neueren Ergebnissen der Säuglingsforschung ist ersichtlich, dass ein Säugling von Beginn seiner Geburt an sehr aktiv in das Interaktionsgeschehen eingreift. Bei dem ersten Interaktionsgeschehen (i. d. R. zwischen Mutter und Kind) steht die Beschäftigung mit der Nahrungsaufnahme im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Die Mutterbrust dient dabei nicht nur der Nahrungsaufnahme, sie ist auch Lustobjekt des Kindes. Es ist die Zeit des frühesten Erlebens von Bindung, Abhängigkeit und Angenommen werden. Die Hauptangst in dieser Entwicklungsphase ist die Angst vor dem Objektverlust (Tod der Mutter), Trennung und Liebesverlust. Es kommt zu ersten Grenzziehungen zwischen Mutter und Kind, d. h. die Mutter ist nicht immer bereit, den Wunsch ihres Kindes nach Nahrung zu befriedigen. Derartige Grenzziehungen frustrieren den Säugling. Da die orale Entwicklung und die Entwicklung des Selbstwertgefühles sehr eng miteinander verbunden sind, kann das Kind die Versagung der oralen Befriedigung zugleich als Ablehnung, Kränkung und u. U. sogar als existentielle Bedrohung erleben. Durch das Erleben von Entbehrungen (Vernachlässigung) aber auch durch Verwöhnungen (Überversorgung) wird die Grundlage für die Entstehung von Essstörungen gelegt. Entbehrungen werden vom Kind sehr häufig als lebensbedrohlich erlebt, da es hilflos der Bezugsperson ausgeliefert ist. Überfürsorglichkeit wird vom Kind ebenfalls als bedrohlich erlebt, da es sich durch die Überfürsorglichkeit (z. B. als Objekt narzisstischer Befriedigung) an einer eigenständigen Entwicklung gehindert fühlt. Als Folge derartiger Mangel- bzw. Überversorgungszustände kommt es zu einer nicht ausreichenden Internalisierung positiver Objektrepräsentanzen (es wird ein ambivalentes Objekt (Mutter) internalisiert). Dadurch bedingt ist auch die Objektkonstanz weniger ausgeprägt, deren Folgen ein Mangel an Selbstkonstanz sowie eine oftmals defizitär ausgeprägte narzisstische Homöostase sind. Dies ist der Nährboden für die Entwicklung von Minderwertigkeits- und Schuldgefühlen (Essen und Sündigen). Zur Kompensierung der inneren Realität werden Verdrängungsmechanismen eingesetzt. Ein Schutzpanzer dient der Abwehr von Frustrationen. Dadurch können Unlustgefühle wie Angst, Anspannung, Wut, Ärger und Einsamkeit vermindert und verdrängt werden. Als Folge des stark ambivalenten, mit Liebe und Hass besetzten Erlebens des frühen Liebesobjektes (Mutter) entstehen Ich-Funktionsdefizite, die sich bei Suchterkrankungen (Esssucht!) u. a. als Störung der Identität und der Unfähigkeit des Erlebens und des Ausdrucks der eigenen Gefühle zeigen. Die internalisierte Ambivalenz von gleichzeitig bestehenden intensiven Gefühlen von Libido und Aggression verhindert also den zur inneren Reifung und zur Autonomie erforderlichen Fusionsprozess von "guten" und "bösen" Teilobjekten, so dass sich eine brüchige innere Struktur der Selbst- und Objektrepräsentanzen entwickelt. Dadurch fehlt die Grundlage für die Bildung einer Selbst- und Objektkonstanz, die wiederum für die Entwicklung von positiven Selbstwertgefühlen und die Beziehung zu anderen Objekten fundamental ist.
Auf diesem "Nährboden" entstehen Essstörungen. Essen kann zur Ich-Organisation, Ich-Verstärkung und Unterstützung einer Struktur mit mangelhafter Identität verwendet werden. Essen wird zunehmend zum Spannungsabbau und zur Verminderung anderer Unlustgefühle eingesetzt und dient als Werkzeug, den großen Wunsch nach Stabilisierung, Regulation und Schutz zu erfüllen.