Hypochondrie

Einleitung Auftreten Symptomatik Erscheinungsformen Krankheitsverlauf Ursprung Behandlungsmethoden

Hypochondrie, Hypochonder, somatoforme Störungen

Einleitung Auftreten Symptomatik Erscheinungsformen Krankheitsverlauf Ursprung Behandlungsmethoden

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Einführung

Die hypochondrische Störung gehört zu den sogenannten somatoformen Störungen. Zu den somatoformen Störungen zählen auch die Somatisierungsstörungen und somatoformen Schmerzstörungen. Bild 1zeigt eine Einordnung der Hypochondrie in die somatoformen Störungen.

Gemeinsam ist den somatoformen Störungen, dass die Betroffenen körperliche Beschwerden haben, die sich jedoch auf keine körperlichen Ursachen zurückführen lassen. In der Regel werden mehrere Ärzte konsultiert. Die Möglichkeit, dass ihre Erkrankung psychischen Ursachen haben könnte, wird von den Betroffenen i. d. R. abgelehnt oder ausgeschlossen. Das Leben der Patienten dreht sich häufig stark um ihre Symptome, und sehr häufig fordern die Erkrankten von ihrer Umgebung Aufmerksamkeit für ihr Leiden.

Besser bekannt ist diese Störungsgruppe unter dem Begriff der „Psychosomatische Störungen“. Dabei weist der Begriff „Psychosomatik“, auf den Zusammenhang von Körper (Soma) und Seele (Psyche) hin. Die zentrale Annahme der Psychosomatik ist, dass sich seelische Probleme auch in körperlichen Symptomen äußern können.

Bild 1: Einordnung der Hypochondrie in die somatoformen Störungen nach ICD 10.

Gemäß den Richtlinien des ICD-10 wird eine hypochondrische Störung (F45.2) durch spezifische Merkmale definiert, von denen die ersten beiden als primäre diagnostische Kriterien gelten:

  • Beharrliche Beschäftigung mit der Möglichkeit, an einer oder mehreren schweren und fortschreitenden körperlichen Krankheiten zu leiden, manifestiert durch anhaltende körperliche Beschwerden oder ständige Beschäftigung mit der eigenen körperlichen Erscheinung,
  • Anhaltende Weigerung, den Rat und die Versicherung mehrerer Ärzte zu akzeptieren, dass den Symptomen keine körperliche Krankheit zugrunde liegt,
  • Normale oder allgemeine Empfindungen werden oft als abnorm und belastend interpretiert,
  • Die Aufmerksamkeit ist meist auf nur ein oder zwei Organe oder Organsysteme fokussiert,
  • Die befürchtete körperliche Krankheit oder Entstellung (im Falle einer Dysmorphophobie) kann benannt werden,
  • Der Grad der Überzeugung, von einer Krankheit oder Entstellung befallen zu sein, kann ebenso schwanken wie die vorwiegende Betonung einer Erkrankung gegenüber einer anderen.

Die betroffenen Personen sind überzeugt, dass ihre Symptome durch mindestens eine ernsthafte körperliche Erkrankung verursacht werden, auch wenn wiederholte medizinische Untersuchungen keine Erklärung für ihre körperlichen Beschwerden finden konnten. Sie sind fortwährend mit ihren körperlichen Symptomen beschäftigt und lehnen beharrlich die Versicherungen mehrerer Ärzte ab, dass ihren Symptomen keine körperliche Krankheit zugrunde liegt. Sie akzeptieren nicht den medizinischen Rat, der darauf hinweist, dass ihre Beschwerden nicht durch eine physische Erkrankung bedingt sind.

Vorkommen

Es wurde festgestellt, dass fast 50 % der Patienten in allgemeinmedizinischen Praxen einzelne hypochondrische Symptome aufweisen. Bis zu 14 % der Hilfesuchenden zeigen ein vollständiges Krankheitsbild einer Hypochondrie. Im Unterschied zu anderen somatoformen Störungen, die vorwiegend bei Frauen diagnostiziert werden, sind von Hypochondrie sowohl Männer als auch Frauen gleichermaßen betroffen.

Symptome

Im Zentrum der Hypochondrie liegt eine tief verwurzelte Angst, schwer krank zu sein. Selbst normale körperliche Reaktionen oder unbedeutende Veränderungen – wie etwa ein leicht erhöhter Puls nach dem Treppensteigen oder vorübergehende Verdauungsprobleme – werden von Betroffenen als pathologisch eingestuft und als Beweis für eine Erkrankung wahrgenommen. Selbst mehrere medizinische Untersuchungen ohne Befund vermögen es nicht, diese Menschen von ihrer Überzeugung zu lösen, dass sie an einer gravierenden physischen Krankheit leiden. Das Fehlen von Diagnoseergebnissen wird häufig als Indiz für eine noch unentdeckte Krankheit interpretiert, oder man nimmt an, dass die ärztliche Untersuchung unzureichend war oder der Arzt sich geirrt hat. Infolgedessen suchen Betroffene oft zahlreiche Ärzte auf, in der Hoffnung, dort Anhaltspunkte oder Bestätigungen für die vermuteten Ursachen ihrer Beschwerden zu finden. Im Unterschied zu anderen somatoformen Störungen, bei denen die Symptome häufig variieren und unterschiedliche Körperregionen betreffen, konzentrieren sich die Beschwerden bei Hypochondrie meist auf ein oder zwei Organsysteme. Die Abgrenzung zu anderen somatoformen Erkrankungen gestaltet sich generell als schwierig. Das charakteristische Merkmal der Hypochondrie ist vor allem die ausgeprägte Furcht vor einer schweren Erkrankung, während bei anderen somatoformen Störungen die physischen Symptome selbst stärker im Fokus stehen.

Formen

Nach Morschitzky kann die Hypochondrie nach den Aspekten von primärer und sekundärer Symptomatik und den Aspekten von Angst und Überzeugung in folgenden Unterformen unterteilt werden:

  1. Primäre Hypochondrie: Die krankheitsbezogenen Ängste stehen in keinem Zusammenhang mit erlebten oder befürchteten Krankheiten und können nicht auf eine andere, ihr übergeordnete Krankheit zurückgeführt werden. Die primäre Hypochondrie gilt im Vergleich zur sekundären Hypochondrie als die schwerere Störung und wird von manchen Fachleuten als Persönlichkeitsstörung betrachtet.
  2. Sekundäre Hypochondrie: Die Krankheitsängste haben sich nach einer anderen psychischen Störung (z. B. Panikstörung, Depression) oder einer körperlichen Erkrankung entwickelt, entweder der eigenen Person (oft bereits in der Kindheit, was nicht selten zu anhaltenden ängstlich-besorgten Reaktionen der Mutter geführt hat) oder – was noch häufiger der Fall ist – nach Erfahrungen von Krankheit, Leid, Behinderung und Tod von Familienangehörigen, Verwandten oder guten Bekannten.
  3. Aspekte der Krankheitsangst: Die zielgerichtete Angst, krank zu werden, hat Ähnlichkeiten mit einer phobischen Symptomatik. Die phobischen Erwartungsängste führen zu einem phobischen Vermeidungsverhalten. Arztkontakte und Auseinandersetzung mit der Thematik von Gesundheit und Krankheit werden gemieden. Typisch sind Aussagen wie „Ich darf nichts über Krankheiten lesen, sonst steigere ich mich gleich hinein.“
  4. Aspekte der Krankheitsüberzeugung: Die Überzeugung, bereits krank zu sein, hat Ähnlichkeiten mit einer Zwangsstörung. Aufgrund der Befürchtung, bereits erkrankt zu sein, erfolgen häufige Arztkontakte mit Arztwechsel („Doctor Shopping“) in der Hoffnung, endlich auf den richtigen Arzt zu stoßen, der die bislang unerkannte Krankheit entdeckt. Alle anderen Ärzte, die dazu nicht in der Lage waren und sind, werden als unfähig abqualifiziert. Die Auseinandersetzung mit der Krankheitsthematik wird gesucht – ähnlich wie Zwangskranke vom zwangauslösenden Reiz geradezu magisch angezogen sind. Körpersymptome und Körperfunktionen werden ständig zu kontrolliert („Checking Behavior“). Alle verfügbaren Informationen in den Medien sowie in Büchern werden im Sinne von Beruhigungsversuchen interessiert aufgenommen. Nicht selten geben die Betroffenen an, die Gedanken an eine körperliche Erkrankung würden sich in einer Weise aufdrängen, wie dies bei einer Zwangsstörung der Fall ist. Analog zu einem Waschzwang, der vermehrt auftritt, wenn das Risiko einer Ansteckung nicht durch vorherige Vermeidung von Sozialkontakten verringert werden konnte, ist das Bedürfnis nach ärztlichen Kontrolluntersuchungen stärker, wenn bestimmten Gefahrenreizen nicht völlig ausgewichen werden kann (z. B. mehrfache AIDS-Kontrollen nach sexuellen Kontakten mit einer anderen Person als dem derzeitigen Partner).

Verlauf

Grundsätzlich kann Hypochondrie in jedem Lebensalter beginnen. Häufig tritt die Symptomatik aber zum ersten Mal im frühen Erwachsenenalter auf. Der Krankheitsverlauf ist oft chronisch und die große Beschäftigung mit den körperlichen Beschwerden kann zu einem Persönlichkeitsmerkmal der Betroffenen werden. Die Prognose ist in der Regel schlechter, wenn die Krankheit schleichend begonnen hat und der Betroffene durch seine Krankheit bestimmte „Vorteile“ wie z. B. Rücksichtnahme oder größere Aufmerksamkeit (sekundärer Krankheitsgewinn) erhält.

Ursachen

Die Entstehung und Ausprägung somatoformer Störungen wird durch biologische, psychische und soziale Faktoren begünstigt.

Zu den biologischen Faktoren zählen genetisch-konstitutionelle Aspekte wie z. B. eine erhöhte Schmerzempfindlichkeit oder eine erhöhte psychophysiologische Reaktivität wie z. B. die erhöhte Reizempfindlichkeit (auf Reize besonders schnell mit erhöhtem Herzschlag reagieren) und Aspekte des Hormonsystems (z. B. eine vermehrte Stresshormonausschüttung in Belastungssituationen). Zu psychischen Faktoren zählen eine mangelnde Wahrnehmung des inneren Gefühlszustandes, anhaltende ängstliche Überaufmerksamkeit bezogen auf die aktuellen Körperempfindungen, Bewertung relativ harmloser Symptome als gefährlich, übertriebene Sorge um die Gesundheit. Hinzu kommen psychosoziale Belastungsfaktoren wie z. B. Probleme bei der Arbeit oder in Beziehungen. In der Vorgeschichte der Betroffenen findet sich oft eine überdurchschnittliche Häufung von Krankheiten der eigenen Person oder von Familienmitgliedern, Traumatisierungen verschiedener Art (z. B. sexueller Missbrauch), ständige ärztliche Untersuchungen und eintönige, wenig abwechslungsreiche Lebensbedingungen.

Aus psychoanalytischer Sicht entsteht die Hypochondrie als Folge unbewusster innerer Konflikte auf der Grundlage von Schuldgefühlen oder Ängsten. Die Abwehr dieser Konflikte erfolgt ähnlich wie bei phobischen Störungen durch die Verschiebung der Schuld- oder Angstgefühle auf körperliche Symptome. Durch diese Projektion und/oder Verschiebung wird eine Auseinandersetzung mit den zugrundeliegenden Konflikten vermieden. Dabei haben die körperlichen Beschwerden symbolischen Charakter, so könnten z. B. Nackenprobleme als Ausdruck dafür stehen, etwas „nicht akzeptieren“ zu wollen oder unnachgiebig zu sein.

Therapie

Hypochonder sind überzeugt von einer schweren körperlichen Erkrankung. Daher begeben sich hypochondrische Patienten nur selten oder erst nach einem langen Krankheitsverlauf in psychotherapeutische Behandlung.

In der psychodynamischen Therapie gilt es den/die zugrunde liegenden Konflikte zu erkennen und dem Betroffenen bewusst zu machen. Der Therapeut sollte sich zunächst die Symptome schildern lassen, ohne zu diskutieren, ob die Beschwerden somatisch begründbar sind oder nicht. Vielmehr sollte er darauf hinweisen, dass in der Therapie ein Umgang mit dem Leiden erlernt werden kann, dass z.B. Entspannungsverfahren wie das Autogene Training eine Hilfe sein können. Auch sollte der Zusammenhang zwischen Stress und körperlichem Befinden deutlich gemacht werden.

Im Laufe der Behandlung wird mit dem Patienten erarbeitet, welchen Situationen (z. B. Konflikte in der Familie oder eine hohe Arbeitsbelastung) Veränderungen der Symptomatik verursachen. Dem Betroffenen wird anhand des Erklärungsmodells für Hypochondrie verdeutlicht, wie seine ängstliche Selbstbeobachtung zu einer Steigerung der Symptomatik führt. Die Therapie beschäftigt sich auch mit der Neigung des Betroffenen, Ereignisse eher negativ wahrzunehmen und es wird versucht positivere Denkmuster zu entwickeln. Stellt der Behandler fest, dass das Umfeld stark in die Krankheit des Patienten eingebunden ist, ist es sinnvoll, mit diesen Personen zusammenzuarbeiten und ihnen zu verdeutlichen, dass sie durch eine zu starke Unterstützung und Schonung langfristig zur Stabilisierung der Hypochondrie beitragen.