Dissoziative Störungen, Konversionsstörungen, Konversionsneurosen, Hysterie
Inhalt:
Einführung
Bereits in der Antike wurden bestimmte körperliche und psychische Symptome wie auch bestimmte Charakterzüge als „hysterisch“ bezeichnet. Die alten Ägypter und Griechen sahen Zusammenhänge zwischen einer „Wanderung“ der Gebärmutter im Körper und hysterischen Symptomen. Im Mittelalter galten Menschen mit hysterischer Symptomatik als vom Teufel besessen. Später galt Hysterie vielfach als eine gynäkologische (18. Jahrhundert) und noch später als eine neurologische Erkrankung (19. Jahrhundert).
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Erst Breuer und Freud gelang es, die tatsächlichen Ursachen der Hysterie aufzudecken. Sie beobachteten, dass hysterische Symptome verschwanden, wenn es im hypnotischen Zustand gelang, die entsprechenden, aus dem Bewusstsein verdrängten Inhalte und den dazugehörigen Affekt in Erinnerung zu bringen und zu beleben. Daraus schlossen sie, dass hysterische Symptome die Folgen neurotischer Verarbeitung intrapsychischer Konflikte sind. In späteren Veröffentlichungen führte Freud aus, dass der für die Hysterie typische Modus der Symptombildung die Konversion sei, d. h. die Umsetzung eines psychischen Konfliktes in körperliche (somatische) Symptome. Die durch den Konflikt aufgestaute libidinöse Energie wird umgewandelt und in somatische Innervation konvertiert (Mentzos, 1997). Diese energetische Interpretation der Konversion war bei Freud unabtrennbar mit der symbolischen Funktion des hysterischen Symptoms verbunden. Die Konversionssymptome drücken verdrängte Inhalte (Vorstellungen und Gefühle) durch den Körper aus. Dieser zweite Aspekt gewann im Laufe der Zeit immer mehr an Bedeutung, so dass heute unter Konversion in erster Linie eine „Übersetzung“ verdrängter Bewusstseinsinhalte in eine Körpersprache verstanden wird. Bei der Konversion handelt es sich also um eine Symptombildung mit symbolhafter Somatisierung. Das Symptom hat Ausdruckscharakter.
Mentzos (1997) unterscheidet drei Gruppen von hysterischen Phänomenen oder Vorgängen:
- körperliche „Funktionsstörungen“, die u. a. als Lähmungen, Seh-, Hör-, Gleichgewichts-, Sprechstörungen zu beobachten sind: Körperliche Erkrankungen werden unbewusst imitiert oder nachgebildet, ohne dass ein organpathologischer Befund vorliegt. So sind z. B. bei den hysterischen Lähmungen die Reflexe erhalten, die Muskeln zeigen keine Atrophie. Bei einer hysterischen „Blindheit“ reagieren die Pupillen normal.
- dissoziative Phänomene, die als psychische „Funktionsstörungen“, wie z. B. abgegrenzte Erinnerungslücken für bestimmte Zeitabschnitte (Amnesien) oder Bewusstseinsstörungen wie psychogene Dämmerzustände, hysterische Ich-Spaltungen, hysterische Pseudohalluzinationen zu beobachten sind, und
- hysterische Persönlichkeitszüge, die sich bestimmten Verhaltensmuster wie der Tendenz zur Dramatisierung, der verminderten Fähigkeit, zwischen Phantasie und Realität zu unterscheiden, einer ausgeprägten Suggestibilität, übertriebener Koketterie und Theatralik und ähnliches zeigen.
Der Begriff „Dissoziation“ bedeutet Unterbrechung der normalerweise integrativen Funktionen des Bewusstseins, des Gedächtnisses, der Identität oder der Wahrnehmung der Umwelt (DSM-IV). Dissoziation im psychiatrischen und/oder psychotherapeutischen Sinne, kann als ein Defekt der mentalen Integration verstanden werden, bei der eine oder mehrere Bereiche mentaler Prozesse vom Bewusstsein getrennt werden und unabhängig voneinander ablaufen (Abspaltung von Bewusstsein). Demgegenüber umfasst „Konversion“ somatische, d. h. sensorische und motorische Phänomene.
In der ICD 10 werden die Begriffe dissoziative Störung und Konversionsstörung synomym verwendet. Danach ist das allgemeine Kennzeichen der dissoziativen Störungen oder Konversionsstörungen ein teilweiser oder völliger Verlust der normalen Integration der Erinnerung an die Vergangenheit, des Identitätsbewusstseins, der Wahrnehmung unmittelbarer Empfindungen sowie der Kontrolle von Körperbewegungen.
Vorraussetzung für eine Diagnose ist, dass körperliche Untersuchungen und Befragungen keinen Hinweis auf eine bekannte somatische oder neurologische Krankheit ergeben. Zusätzlich ist der Funktionsverlust offensichtlich Ausdruck emotionaler Konflikte oder Bedürfnisse. Die Symptome können sich in enger Beziehung zu psychischer Belastung entwickeln und erscheinen oft plötzlich. Nur Störungen der körperlichen Funktionen, die normalerweise unter willentlicher Kontrolle stehen, und Verlust der sinnlichen Wahrnehmung sind hier eingeschlossen. Störungen mit Schmerz und andere komplexe körperliche Empfindungen, die durch das vegetative Nervensystem vermittelt werden, sind unter Somatisierungsstörungen (F45.0) zu klassifizieren.
Das Charakteristikum einer Somatoformen Störung ist demgegenüber nach der ICD 10, die wiederholte Darbietung körperlicher Symptome in Verbindung mit hartnäckigen Forderungen nach medizinischen Untersuchungen trotz wiederholter negativer Ergebnisse und Versicherung der Ärzte, dass die Symptome nicht körperlich begründbar sind. Wenn somatische Störungen vorhanden sind, erklären sie nicht die Art und das Ausmaß der Symptome, das Leiden und die innerliche Beteiligung des Patienten.
Vorkommen
Konversionsneurotische Symptombildungen sind weit verbreitet (Reimer u. a., 1996). In ihrem Verlauf können vielfältige und wechselnde Körpersymptome auftreten, die Störungen können im Bereich der Motorik und der Sensorik auftreten. Das klinische Bild der Konversionssyndrome hat sich gewandelt. Hysterische Symptomneurosen sind seit der Jahrhundertwende in Westeuropa ausgesprochen selten geworden sind, während sie zum Beispiel in Indien und in den Mittelmeerländern weiterhin häufig anzutreffen sind (Mentzos, 1997). Als Folge der fortschreitenden Aufklärung und Intellektualisierung ist es vermutlich schwierig geworden ist, die damaligen Formen hysterischer Inszenierungen zu reproduzieren.
Bei den hysterischen Patienten von heute überwiegen Hyperventilationssyndrome mit oder ohne Tetanie (Störung der Motorik und der Sensibilität (Kribbeln)), Ausfälle motorischer Funktionen, Krämpfe, Gangstörungen, sensorische Phänomene, Taubheit oder Blindheit, Schmerzen bei Hyperästhesie (Überempfindlichkeit) oder auch Hypästhesie ( Berührungs- und Drucksensibilität der Haut), Pruritus (Juckreiz) und Stimmstörungen (Reimer u. a. 1996) sowie „Nervenzusammenbrüche“, pseudodepressive Krisen, langwierige postcommotionelle Syndrome und „ungeklärte“ Rückenbeschwerden (Mentzos, 1997).
Seit der Beschreibung der Konversionsneurose durch Breuer und Freud hat sich die Kenntnis dieser Störung vertieft und ihre Gestalt hat sich gewandelt. Es ist deutlich geworden, wie viel Depressivität und narzisstische Verletzbarkeit hinter der hysterischen Fassade verborgen sein können (Reimer u. a. 1996) .
Symptome
Wie bereits zuvor angesprochen können die hysterischen Symptome nach Mentzos (1997) wie folgt unterteilt werden:
- körperliche „Funktionsstörungen“, die u. a. als Lähmungen, Seh-, Hör-, Gleichgewichts-, Sprechstörungen zu beobachten sind: Körperliche Erkrankungen werden unbewusst imitiert oder nachgebildet, ohne dass ein organpathologischer Befund vorliegt. So sind z. B. bei den hysterischen Lähmungen die Reflexe erhalten, die Muskeln zeigen keine Atrophie. Bei einer hysterischen „Blindheit“ reagieren die Pupillen normal.
- dissoziative Phänomene, die als psychische „Funktionsstörungen“, wie z. B. abgegrenzte Erinnerungslücken für bestimmte Zeitabschnitte (Amnesien) oder Bewusstseinsstörungen wie psychogene Dämmerzustände, hysterische Ich-Spaltungen, hysterische Pseudohalluzinationen zu beobachten sind, und
- hysterische Persönlichkeitszüge, die sich bestimmten Verhaltensmuster wie der Tendenz zur Dramatisierung, der verminderten Fähigkeit, zwischen Phantasie und Realität zu unterscheiden, einer ausgeprägten Suggestibilität, übertriebener Koketterie und Theatralik und ähnliches zeigen.
Dissoziative Störungen können plötzlich oder oder allmählich auftreten, vorübergehend oder chronisch sein. Die meisten dissoziativen Störungen neigen nach einigen Wochen oder Monaten zur Remission. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Beginn mit einem traumatisierenden Lebensereignis verbunden ist. Eher chronische Störungen, besonders Lähmungen und Gefühlsstörungen, entwickeln sich häufig im Zusammenhang mit scheinbar unlösbaren Problemen oder interpersonalen Schwierigkeiten. Diese Störungen wurden früher als verschiedene Formen der „Konversionsneurose oder Hysterie“ klassifiziert. Sie werden als ursächlich psychogen angesehen und stehen in enger zeitlicher Verbindung mit traumatisierenden Ereignissen, unlösbaren oder unerträglichen Konflikten oder gestörten Beziehungen. Die Symptome verkörpern den unbewussten Konflikt häufig in symbolischer Form.
Formen
Die folgenden Ausführungen basieren auf der Klassifikation der Dissoziativen Störungen nach der ICD 10. Zusätzlich werden hier die Depersonalisations- und Derealisationssyndrome betrachtet, die in der ICD 10 unter F 48.1 (andere neurotische Störungen) separat aufgeführt werden.
Die Störungsbilder reichen von Störungen des Gedächnisses über Sensibilitäts- , Empfindungs- und Bewegungsstörungen bis zur Entwicklung manifester zusätzlicher Persönlichkeiten (multiple Persönlichkeit).
Dissoziative Amnesie (F44.0) Das wichtigste Kennzeichen ist der Verlust der Erinnerung für meist wichtige aktuelle Ereignisse, die nicht durch eine organische psychische Störung bedingt ist und für den eine übliche Vergesslichkeit oder Ermüdung als Erklärung nicht ausreicht. Die Amnesie bezieht sich meist auf traumatische Ereignisse wie Unfälle oder unerwartete Trauerfälle und ist in der Regel unvollständig und selektiv. Eine vollständige und generalisierte Amnesie ist selten. In solchen Fällen sind gewöhnlich Symptome einer Fugue (F44.1) zu beobachten. Die Diagnose sollte nicht bei hirnorganischen Störungen, Intoxikationen oder extremer Erschöpfung gestellt werden. Dissoziative Fugue (F44.1) Eine dissoziative Fugue ist eine zielgerichtete Ortsveränderung, die über die gewöhnliche Alltagsmobilität hinausgeht. Darüber hinaus zeigt sie alle Kennzeichen einer dissoziativen Amnesie (F44.0). Obwohl für die Zeit der Fugue eine Amnesie besteht, kann das Verhalten des Patienten während dieser Zeit auf unabhängige Beobachter vollständig normal wirken. Das vorherrschende Störungsbild ist demnach ein plötzliches, unerwartetes Weggehen von zu Hause oder vom gewohnten Arbeitsplatz, verbunden mit der Unfähigkeit, sich an die Vergangenheit zu erinnern. Bei den Betroffenen besteht oft Unklarheit über die eigene Identität oder es wird eine teilweise oder vollständige neue Identität angenommen. Dissoziativer Stupor (F44.2) Dissoziativer Stupor wird aufgrund einer beträchtlichen Verringerung oder des Fehlens von willkürlichen Bewegungen und normalen Reaktionen auf äußere Reize wie Licht, Geräusche oder Berührung diagnostiziert. Dabei lassen Befragung und Untersuchung keinen Anhalt für eine körperliche Ursache erkennen. Zusätzliche Hinweise auf die psychogene Verursachung geben kurz vorhergegangene belastende Ereignisse oder Probleme. Trance- und Besessenheitszustände (F44.3) Bei diesen Störungen tritt ein zeitweiliger Verlust der persönlichen Identität und der vollständigen Wahrnehmung der Umgebung auf. Hier sind nur Trancezustände zu klassifizieren, die unfreiwillig oder ungewollt sind, und die außerhalb von religiösen oder kulturell akzeptierten Situationen auftreten. Dissoziative Bewegungsstörungen (F44.4) Die häufigsten Formen zeigen den vollständigen oder teilweisen Verlust der Bewegungsfähigkeit eines oder mehrerer Körperglieder. Sie haben große Ähnlichkeit mit fast jeder Form von Ataxie, Apraxie, Akinesie, Aphonie, Dysarthrie, Dyskinesie, Anfällen oder Lähmungen. Dissoziative Krampfanfälle (F44.5) Dissoziative Krampfanfälle können epileptischen Anfällen bezüglich ihrer Bewegungen sehr stark ähneln. Zungenbiss, Verletzungen beim Sturz oder Urininkontinenz sind jedoch selten. Ein Bewusstseinsverlust fehlt oder es findet sich statt dessen ein stupor- oder tranceähnlicher Zustand. Dissoziative Sensibilitäts- und Empfindungsstörungen (F44.6) Die Grenzen anästhetischer Hautareale entsprechen oft eher den Vorstellungen des Patienten über Körperfunktionen als medizinischen Tatsachen. Es kann auch unterschiedliche Ausfälle der sensorischen Modalitäten geben, die nicht Folge einer neurologischen Läsion sein können. Sensorische Ausfälle können von Klagen über Parästhesien begleitet sein. Vollständige Seh- oder Hörverluste bei dissoziativen Störungen sind selten. Sonstige dissoziative Störungen (u. a. Multiple Persönlichkeitsstörung, F44.8)
Bei der dissoziativen Identitätsstörung (Multiple Persönlichkeitsstörung) kommt es zur Anwesenheit von zwei oder mehr unterscheidbaren Identitäten oder Persönlichkeitszuständen (jeweils mit einem eigenen, relativ überdauernden Muster der Wahrnehmung von, der Beziehung zur und dem Denken über die Umgebung und das Selbst). Mindestens zwei dieser Identitäten oder Persönlichkeitszustände übernehmen wiederholt die Kontrolle über das Verhalten der Person. Es besteht eine Unfähigkeit, sich an wichtige persönliche Informationen zu erinnern, die zu umfassend ist, um durch gewöhnliche Vergesslichkeit erklärt zu werden.
Depersonalisations- und Derealisationssyndrom (F48.1)
Eine seltene Störung, bei der ein Patient spontan beklagt, das seine geistige Aktivität, sein Körper oder die Umgebung sich in ihrer Qualität verändert haben, und unwirklich, wie in weiter Ferne oder automatisiert erlebt werden. Neben vielen anderen Phänomenen und Symptomen klagen die Patienten am häufigsten über den Verlust von Emotionen, über Entfremdung und Loslösung vom eigenen Denken, vom Körper oder von der umgebenden realen Welt. Trotz der dramatischen Form dieser Erfahrungen ist sich der betreffende Patient der Unwirklichkeit dieser Veränderung bewusst. Das Sensorium ist normal, die Möglichkeiten des emotionalen Ausdrucks intakt. Depersonalisations- und Derealisationsphänomene können im Rahmen einer schizophrenen, depressiven, phobischen oder Zwangsstörung auftreten. In solchen Fällen sollte die Diagnose der im Vordergrund stehenden Störung gestellt werden.
Bei der Depersonalisationsstörung kommt es zu andauernden oder wiederkehrende Erfahrungen, sich von den eigenen geistigen Prozessen oder vom eigenen Körper losgelöst oder sich wie ein außenstehender Beobachter der eigenen geistigen Prozesse oder des eigenen Körpers zu fühlen (z. B. sich fühlen, als sei man in einem Traum). Während der Depersonalisationserfahrung bleibt die Realitätsprüfung intakt.
Verlauf
Dissoziative Störungen können plötzlich oder oder allmählich auftreten, vorübergehend oder chronisch sein. Die meisten dissoziativen Störungen neigen nach einigen Wochen oder Monaten zur Remission. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Beginn mit einem traumatisierenden Lebensereignis verbunden ist. Eher chronische Störungen, besonders Lähmungen und Gefühlsstörungen, entwickeln sich häufig im Zusammenhang unlösbaren Problemen oder interpersonalen Schwierigkeiten.
Ursachen
Psychodynamische Aspekte: Ein wichtiger Aspekt für die Entstehung von Konversionsstörungen ist die Konversion selbst, d. h. die Umsetzung eines Konfliktes und seiner Bestandteile in eine Körpersprache. Durch die meisten hysterischen Erscheinungsformen werden verschiedenste körperliche und psychische Leiden unbewusst „imitiert“. Dies bedeutet, dass hier massive Identifikationsprozesse stattfinden, und zwar entweder mit konkret beobachteten kranken Patienten oder mitbestimmten stereotypen Vorstellungen davon, wie eine Krankheit aussieht (Mentzos, 1997). Die Verdrängung ist eine weitere wichtigste Voraussetzung dafür, das solche Vorgänge überhaupt unbewusst ablaufen können. Von weiterer Bedeutung sind die Dissoziation, bei der eine oder mehrere Bereiche mentaler Prozesse vom Bewusstsein getrennt werden und unabhängig voneinander ablaufen und die Emotionalisierung. Alle o. g. Mechanismen sind nach Mentzos (1997) sehr wichtig und notwendig aber nicht spezifisch für Konversionsstörungen.
Spezifisch für den konversionsneurotischen (hysterischen) Modus der Konfliktverarbeitung ist nach Mentzos (1997) die Inszenierung, die für den äußeren und den inneren Beobachter (Über-Ich) aufgeführt wird. Eine Inszenierung, die in erster Linie die Funktion hat, den Erkrankten „in einem anderen Licht erscheinen“ zu lassen. Hysterische Erlebens- und Verhaltensweisen können demnach als unbewussten Inszenierungen aufgefasst werden, mit dem Ziel für sich und andere, anders zu erscheinen als man ist. Es entsteht der Eindruck, als wenn es sich hier um eine passagere, inszenierte Änderung der Selbstrepräsentanz handelt.
Inszenierungen werden in zwei Richtungen umgesetzt: Entweder erscheint der Patient als schwächer, kränklicher, hilfloser, verzweifelter, verrückter als er ist oder aber als stärker, reifer, attraktiver, erfolgreicher, potenter, vitaler, dominierender, angstfreier, unerschrockener. Mentzos (1997) nennt die erste Gruppe die pseudoregressiven, die zweite die pseudoprogressiven Formen. Zu den ersten gehören klinische Bilder wie das der funktionellen Lähmung, der Sprachstörungen, Taubheit, Blindheit, aber auch bestimmte Formen von Impotenz und Frigidität, demonstrative Selbstmordversuche, „Nervenzusammenbrüche“, pseudodepressive hysterische Bilder, Dämmerzustände, ohnmachtsähnliche Zustände, hilflos pseudodementive Bilder usw.. In die zweite Kategorie gehören u. a. Zustände wie der Don-Juanismus und alle anderen phallisch-narzisstischen Charaktere bei Männern und Frauen.
Die klassische psychoanalytische Theorie geht davon aus, dass besonders Konflikte aus der ödipalen Phase bzw. ihrer Reaktivierung im Erwachsenenalter den hysterischen Symptomen (Konversionsstörungen, dissoziativen Störungen) und Persönlichkeitsstörungen zugrunde liegen. Heute ist davon auszugehen, dass bei fast jedem Patienten mit hysterischer Symptomatik und/ oder hysterischer Persönlichkeitsstörung auch Konflikte aus der oralen Phase, wie z. B. eine unvollständige Symbioseablösung und alle anderen nicht konstruktiv verarbeiteten Trennungen sowie eine narzisstische Selbstwertproblematik verbunden mit strukturellen Mängeln im Bereich der Regulation des Selbstwertgefühls vorhanden und oft sogar dominierend sind. Die Ursachen konversionsneurotischer Symptombildungen können demnach aus psychodynamische Sicht auf eine nicht bewältigte ödipale Problematik und/oder auf eine strukturelle Ich-Störung sowie ein labiles Selbstwertgefühl zurückgeführt werden. Durch Emotionalisierung und theatralisches Verhalten (Inszenierungen) wird der Versuch unternommen, das labile Selbstwertgefühl zu kompensieren.
Behaviorale Aspekte: Aus verhaltenstherapeutischer Sicht werden Konversionssymptome produziert, um Belohnungen zu erhalten und Stress zu reduzieren.
Therapie
Nach Reimer u. a. (1996) ist die klassische Behandlungsform für Konversionsstörungen die Psychoanalyse oder tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie. Sofern Familiengespräche indiziert und möglich sind, sollten sie am Anfang der Therapie stehen, um zu klären, inwieweit die Familie den therapeutischen Prozess unterstützen kann.
Bei chronifizierten Konversionsstörungen und wenn eine basale Störung (Ich-Störung) dominiert, müssen sich Therapeut und Patient auf eine längere Behandlungszeit einstellen. Es ist wichtig, den Patienten klarzumachen, dass sie nicht simulieren, sondern sich in einer für sie unbewussten Konfliktsituation befinden. Krankengymnastische Behandlung und übendes Vorgehen sowie verhaltenstherapeutische Elemente können hilfreich sein, weil die Patienten eine Besserung auf das Üben zurückführen können. Dies trägt zu Stabilisierung ihres labilen Selbstwertgefühls bei. Sie werden autonomer und sind weniger auf hysterische Inszenierungen angewiesen, in denen sie ihren Körper und Geist zur Unterdrückung und Kompensation psychischen Leides benötigen (Reimer u. a., 1996).